Viele Zeitungen nutzen das Potential der Leser-Blatt-Bindung durch Soziale Netzwerke nicht aus, sondern verschenken eine Belebung der Zeitung und des Dialogs mit ihrer Leserschaft. Ihnen reicht die reine Präsenz, das „Sozial“ bleibt beim Netzwerken auf der Strecke. Ein Plädoyer für mehr Kommunikation.
Vor einigen Wochen diskutierte ich auf der Facebook-Seite einer Lokalzeitung mit anderen Lesern über ein gerade aktuelles Thema. Der Facebook-Beitrag war nicht nur hoch frequentiert, auch qualitativ waren viele der Leser-Anmerkungen gut durchdacht und interessant. Fast möchte ich schreiben, sie hatten „Leserbrief-Niveau“, würde damit aber ad absurdum führen, was ich eigentlich kritisiere. Denn: Bis heute werden Soziale Netzwerke von vielen Zeitungen – insbesondere den Lokalen – nicht als Plattform der Kommunikation und vor allem des Dialogs genutzt. Eher soll dort kurz ausgespuckt werden, was in der Printausgabe stand, um mehr Klicks zu generieren. Kein Wunder also, dass die Kommentare und auch die Klickzahlen über Facebook zurückgehen (werden/können).
Vorbilder in Hörfunk und Internet
Vorbilder für eine gute Nutzung der Sozialen Netzwerke finden sich in anderen journalistischen Medien, wie dem Hörfunk. Hier wird permanent ins Programm eingebracht, was im Internet von der Hörerschaft generiert wird. Wer kennt nicht die berühmten Sätze „Unsere Hörerin Sabine schreibt auf Facebook, dass sie selbst…“?
Ähnlich verhält es sich bei guten Internetblogs. Hier hat der Journalist Richard Gutjahr vorgeführt, wie es geht: Sein Beitrag zur Zukunft der Zeitung hat eine Welle von Kommentaren nach sich gezogen, die er in einem eigenen Artikel würdigte: Zeitung ja, nur anders.
Was in anderen journalistischen Bereichen schon normal ist und seit langem dazu gehört, ist für Print – insbesondere im Lokaljournalismus – kaum angekommen. Das gilt übrigens nicht für einige der überregionalen Zeitungen, die bereits mit Hilfe toller Ideen (Leserartikel bei der Zeit, taz-Leserkommentare, etc.) den Dialog mit den Lesern suchen. Und das ist sicherlich einer der Aspekte, warum diese Zeitungen nicht mit einem so starken Rückgang bei den Leserzahlen kämpfen müssen (die Zeit hat derzeit die höchste Auflage seit Bestehen)
How to..
Warum nicht schon morgens ein Thema in den Sozialen Netzwerken anreißen und die Kommentare der Leser in den Artikel einfließen lassen? Wem das zu viel des Guten ist, der kann sich einer „Social Media Box“ bedienen, wie es einige größere Zeitungen – vor allem im Ausland – schon machen. Dort werden Tweets und Kommentare abgedruckt, die die Redakteure als besonders gut erachten. Die taz ruft sogar über Facebook dazu auf, die Kommentarseite der Wochenendausgabe mit einem guten Kommentar zu füllen – und zwar gleichwertig mit denen der Redakteure.
Der britische Guardian geht sogar noch weiter: Täglich können die Leserinnen und Leser darüber abstimmen, welches Thema aus einer Themen-Liste intensiv recherchiert werden soll. Leser-Kommentare werden sowohl online als auch in Print einbezogen und dort als vollwertig neben denen der Redakteure bewertet und gedruckt.
Chris Moran vom Guardian sagte dazu in einem Interview mit der Zeitung Falter:
Was unsere Leser liefern, finden wir gleich wichtig wie das, was wir ihnen liefern. Wenn man ein großes, loyales Publikum hat, findet man darin unausweichlich Experten zu jedem Bereich, über den man berichtet.
Einige Redaktionen haben Angst davor, dass sie dadurch interessante Themen an die Konkurrenz abgeben. Beim Guardian werden daher „echte Knüller“ nicht veröffentlicht. In den internen Konferenzen sollte daher abgestimmt werden, wie weit die Redaktion gehen möchte.
Leider ist es bei vielen Lokalredaktionen schon schwierig, ein moderiertes Kommentarfeld vorzufinden. Anfragen von Lesern werden teilweise gar nicht beantwortet, die Diskussion nicht weiter angekurbelt, die weitere Berichterstattung zum Diskussionsthema nicht verlinkt.
Ich habe keine Lust meine Meinung zu sagen, wenn sie den Redakteur am anderen Ende nicht interessiert. Da schreibe ich lieber in ein anderes Forum, in dem ich ernstgenommen werde. Und so wandern die Leser ab, und der Dialog stirbt. Vom „Sozialen Netzwerk“ bleibt nur „Netzwerk“ übrig. Mit Glück klingt ein Artikel mal interessant und er wird geklickt, aber das war’s dann auch.
Als ich die Online-Medien der Studierendenschaft in Paderborn übernahm, gab es keine Vernetzung innerhalb der Sozialen Netzwerke. Das hat – gerade aufgrund des Datenschutzes – viele Gründe, die auszuführen hier nicht hingehören. Aber Twitter war ein Medium, das ich für die Studierendenvertretung entdeckte und dessen Präsenz ich langsam aufbaute. Dabei war die Interaktion besonders wichtig. Über eine Twitter-Wall liefen die Tweets auf den Bildschirmen innerhalb der Universität und die Studierenden liebten es schon damals, sich selbst dort zu entdecken. Und sie lieben es, sich in der Zeitung zu finden. Ist die Zeitung ein gemeinsames Projekt zwischen Redaktion und Rezipienten, abonniert der Leser sich das Machwerk eher, als wenn der thronende Redakteur von ihm nichts wissen will.
Natürlich gehört zu solchen Konzepten und Ideen eine (gute) Online-Redaktion, die Hand in Hand mit den Printkollegen arbeitet. Schwierig ist auch, dass die geleistete Arbeit im Online-Bereich der Sozialen Netzwerke nicht immer sichtbar ist. Manchmal gibt es keine gescheiten Kommentare und ist die Dialogform erst einmal etabliert, müssen die Netzwerke noch genauer unter die Lupe genommen und moderiert werden. Das kostet Zeit und Geld. Aber: es lohnt sich.
It goes on and on and on and on
Neben dem Social-Media-Konzept ist auch die Internetseite ein wichtiges Medium für die Leser-Blatt-Bindung. Einen Artikel zum Thema findet ihr in wenigen Tagen ebenfalls hier.